Glyphosat ist wieder erlaubt, Ameisengift nicht. „Zumindest darf es seit dem 1. Januar dieses Jahres nicht mehr überall verkauft werden“, weiß Beate Reese. 2005 übernahm sie von ihren Eltern Helmut und Dorle Reese die Geschäftsführung des immer noch als Kartoffel- und Brennstoffhandel eingetragenen Unternehmens Am Handelshafen 7-13. Großvater Karl Unckenbolt gründete dieses vor genau 100 Jahren, ursprünglich um Mühlsteine und Kraftbriketts auszuliefern. Das Geschäftshaus wurde damals als Kartoffellagerhaus für die Kriegsmarine gebaut, weshalb auch Kartoffeln verkauft wurden.
Heute kümmert sich die 57-jährige Enkelin um den Verkauf von Insektiziden, Rattengift, Blumenerde, Torfmull und Gas in allen Varianten. Ausgeliefert wird zwar immer noch, aber statt Briketts sind es Blumenerde oder schwere Gasflaschen, die zu den Kunden transportiert werden. Die erfolgreiche Vertriebsstelle Am Handelshafen erinnert mit ihrem charmanten Innenleben auch nach 100 Jahren immer noch an einen Gemischtwarenladen wie aus alten Zeiten. Ob Spezialdünger, (Oster-)Eier, Vogelfutter und -häuschen oder selbstgemachte Marmelade: Beate Reese verkauft „alles, was erlaubt ist“, wie sie schmunzelnd gesteht, selbst Kartoffeln sind noch im Sortiment. Und wer glaubt, die Innovation ist an diesem alteingesessenen Familienbesitz in Wilhelmshaven vorbeigerauscht, irrt: Bei Unckenbolt gab es bereits 1981 eine Autogastankstelle, die heute noch steht.


Auch wer Ratten am oder im Haus hat, erhält hier Hilfe, ohne dass zur Schrotflinte gegriffen werden muss. Als professionelle Schädlingsbekämpferin weiß Beate Reese genau, wie in so einem Fall vorgegangen werden muss. Dafür hat sie eine Extraschulung absolviert, die sie alle drei Jahre auffrischen muss. „Sieben Minuten soll ich jetzt jeden Kunden aufklären, bevor ich ihm Ratten-, Ameisengift oder Unkrautvernichtungsmittel aus dem verschlossenen Glasschrank aushändigen darf,“ sagt sie. „Dabei wissen die meisten doch längst, wie man mit den Giften umgehen muss“. Vor der neuen Verordnung, die zum 1. Januar in Kraft getreten ist „waren Ratten-, Mäuse- und Ameisengift frei verkäuflich gewesen“, so Reese. Heute bekäme man es fast nirgendwo mehr. „Und wenn, dann ist es kein Gift“, sagt die 57-Jährige. Beate Reese selbst ist meistens am Handelshafen vor Ort und plaudert auch mal Persönliches mit ihrer Kundschaft, die das beschaulich-gemütliche Ambiente des urigen Ladens direkt am Kanal zu schätzen wissen. „Manchmal bringen die Kunden auch Pflanzen mit, die von Schädlingen zerfressen wurden“, sagt Beate Reese. Sie erklärt dann, wie man die Plagegeister beseitigen kann, kostenlose Bodenprobe inklusive.
Mit ihren fünf Mitarbeitern versorgt die patente Geschäftsinhaberin private als auch gewerbliche Stammkunden gleichermaßen. „Im Sommer kommen zudem viele Touristen, um ihre Gasflaschen aufzufüllen“, freut sich die Wilhelmshavenerin. Ob das Traditionsgeschäft Karl Unckenbolt in 100 Jahren immer noch besteht? Beate Reese glaubt es nicht. „Ich bin der letzte Gewerbebetrieb hier am Kanal“, sagt sie. „Alle anderen sind schon weg“.
Von Gabriele Zawarty